14 x handwerk

„Ihr müsst das Netz auf der rechten (= anderen) Seite auswerfen!“
 (Johannes 21,1-14)

Zunächst einmal: Es gibt keinen perfekten Gottesdienst. Gott sei Dank. Und es gibt auch keinen perfekten Religionsunterricht. Als seien wir Menschen nur Maschinen, die man mit einem App  optimieren müsste. Doch in der personalen Begegnung von Menschen untereinander und von Menschen mit Gott gibt es ein paar Techniken, die diese Begegnung zumindest erleichtern. Das ist zum Teil banal. Aber auch die banalsten Zusammenhänge gehen uns manchmal verloren. techné  jedenfalls heißt „Kunst“, und wenn theós „Gott“ heißt, dann könnte ein wenig „Theatertechnik“ unserem Gottesdienst und Religionsunterricht ganz gut tun. Theatertechnik nicht als Scheinwerfer und Hebebühne und Tonanlage verstanden, sondern als die Kunst „Gottes Gegenwart erfahrbar zu machen“.

paulus

1. Wo sind meine Füße?
Die Füße sind die Basis von allem. Wie stehe ich da? Was für eine Bodenhaftung habe ich? In Tempeln und Moscheen ziehen wir unsere Schuhe aus. Und auch Moses zieht seine Schuhe am Sinai aus. Um bessere Bodenhaftung zu haben. Humus  ist der Boden, die Muttererde, die Materia. Und humilitas  ist die Demut. Demut heißt nicht Kleinmut, sondern Realitätssinn. Und das geht interessanterweise über die Füße. Wie stehe ich vor Gott und den Menschen auf dieser Erde? Über den Körper zur Emotion. Und über die Emotion zur Person.
Es ist zu kalt in Mitteleuropa, um barfuß in der Kirche oder in der Schule zu stehen. Doch wo sind meine Füße in meinen Schuhen auf dieser Erde? Und wenn ich nervös oder emotional zu stark geladen bin, so bekomme ich wieder Bodenhaftung durch meine Füße. Wo ist die Erde unter meinen Füßen? Und welchen Standpunkt habe ich?

2. Wo „sitzt“ meine Stimme?
Ich habe einen Körper, und dieser Körper ist die Basis meiner Seele, meiner Gefühle, meiner Gedanken. Und dieser Körper ist bestimmt, stimmhaft, begabt mit Sprache und Stimme, mit Musik und Gesang. Ich bin eine Person. personare  heißt: „hindurch tönen“. Mein Körper ist also ein Musikinstrument, durch das auch das Wort und die Sprache Gottes hindurch gehen kann. Wie also ist dieses Musikinstrument gestimmt? Spreche ich nur im Kehlkopf, verklemmt und ängstlich abgeschnitten vom Rest meiner leiblichen Existenz? Belle ich, näsel ich, nuschel ich, fistel ich?
Gebe ich Gott die Ehre mit allen Resonanzräumen, die er mir zur Verfügung stellt (personare – resonare)? Findet meine Stimme ihre Kraft und Stütze also auch in Zwerchfell und Becken .. ?

3. Vermeiden wir Mikrophone
Natürlich helfen uns Mikrophone bei der Verständigung in akustisch schwierigen Räumen. Kirchen sind akustisch schwierig. Doch oft unterjocht uns eine Maschine, die wir benutzen, drängt sich die Technik in den Vordergrund. Sprechen wir also so, als hätten wir kein Mikrophon, kraftvoll, deutlich, langsam, akzentuiert. Üben wir, auch in der Kirche, uns ohne Mikrophon verständlich zu machen. Und dann nehmen wir das Mikrophon nur unterstützend dazu. Eine gute Verstärkeranlage ist so eingestellt, dass wir sie nicht bemerken. Wir verstehen nur alles phantastisch. Und ein guter Sprecher, eine gute Sprecherin spricht nach wie vor mit eigener Spannung und Kraft.

4. Durchbrechen wir den Raum
Nichts ist auf die Dauer langweiliger, als ein frontaler Gottesdienst und ein frontaler Religionsunterricht. Die Sitzordnung in unseren Schulklassen und die Architektur unserer Kirchen verführt dazu. Um so wichtiger ist es, diese einseitige Dramaturgie immer mal wieder aufzurauhen und zu durchbrechen. Bewegung – Ortswechsel – Positionswechsel. Wenn wir uns auf Gott einlassen, kommt es automatisch dazu …

5. Beachten wir das Licht
Die Atmosphäre wird stark durch äußere Faktoren beeinflusst: Duft, Akustik, Licht etc. Die Dramaturgie von Licht und Dunkelheit, von Geräusch und Stille, von Geheimnis und Offenheit ist entscheidend für unsere geistige und seelische Aufnahmebereitschaft. Was sehe ich? Was ahne ich? Was höre ich? Was rieche ich? Was fühle ich?
Nichts ist egal. Nichts ist beliebig. Alles wirkt sich aus. Kann ich die Gesichter sehen? Ist das Licht grell oder kalt? Reicht es zum Lesen? Stört es die innere Sammlung?

6. Probieren wir vorher Situationen aus
Nichts muss perfekt sein. Doch schlampig vorbereitete Gottesdienste oder Religionsstunden sind ein Graus, eine Gemeinheit gegenüber den Mitwirkenden und eine Zumutung gegenüber allen Teilnehmern. Es reicht absolut nicht, sich etwas nur im Kopf zu überlegen. Das ist blutleer. Erst beim Ausprobieren bemerken wir plötzlich Knackpunkte, Fehler, wackelige Stellen, oder auch völlig neue Möglichkeiten und Lösungen. Probieren gibt uns Sicherheit, und durch die Sicherheit: Offenheit!
Probieren wir sogar etwas, das uns gegen den Strich geht, um es dann erprobt zu Verwerfen, oder um uns überraschen zu lassen von etwas Neuem.
Aber: Probieren wir es nicht tot. Spannung und „Lampenfieber“ müssen bleiben.

7. Bereiten wir uns gut vor, aber lesen wir dann nicht einfach ab
Ablesen ermüdet den Zuhörer. Es ist meistens tot, unglaubwürdig, langweilig, wenig überzeugend. Also kontraproduktiv. „Runterlesen“ nennen wir das.
Lassen wir auch bitte niemals Schüler oder andere Mitwirkende nur vorlesen, was wir vorher aufgeschrieben haben!
Schreiben wir also auf, was wir sagen wollen, üben wir es, und sprechen wir dann frei. Das ist sehr angenehm für die Hörenden. Und wir werden uns automatisch auf das wirklich Wesentliche beschränken.
Bleiben wir also konzentriert und frei. Haben wir ein Medium, oder hat das Medium uns? Haben wir ein Hilfsmittel, oder hat das Hilfsmittel uns? Haben wir ein Konzept, oder hat das Konzept uns?

8. Erklären wir nichts kaputt
Gehen wir noch einmal zurück auf den Sinai. Noch bevor Moses seine Schuhe ausziehen soll, ruft ihn Gott aus dem brennenden Dornbusch zweimal an: „Moshe! Moshe!!“ Und dann: „Komm nicht näher.“ (Ex 3,4-5)
Der englische Theaterregisseur Edward Gordon Craig (1872-1966) spricht in diesem Zusammenhang von der „raffinierten Askese des Nicht-Alles-Sagens“.
Etwas ganz Schwieriges, beinahe Unmögliches in unserer heutigen Zeit. Wir sollen etwas zurückhalten, sollen uns zurückhalten. Und wir sollten auch nicht immer alles wissen und besser wissen.
Dieses Aufsparen oder Zurückhalten heißt: kosher. Keuschheit meint jedoch nicht unsere Abwesenheit, sondern unsere Gegenwart und Offenheit dem Ganz-Anderen gegenüber und unsere Fähigkeit, es frei zu halten.
Keuschheit ist Offenheit gegenüber der Liebe Gottes.

9. Weniger ist mehr
Wie gesagt: Perfekt ist tot. Erschlagen wir nicht einen guten Text mit einem zweiten und einem dritten guten Text, erschlagen wir nicht ein gutes Element mit einem zweiten und dritten und vierten. Haben wir Mut zur Lücke. Das ist schwer.
Und vertrauen wir mit Mahatma Gandhi auf „die Kraft des unausgesprochenen Wortes“.

10. Bleiben wir, was wir sind: geniale Fragmente
Wollen wir mit dem, was mir machen, nicht besser sein, als wir sind.
Fragmente sprechen uns oft wesentlich stärker an als vollkommene Standbilder. Sie lassen Phantasie und Offenheit zu. Etwas Drittes zwischen uns.
Ich bin ein Fragment. Du bist ein Fragment.
Und nur zusammen sind wir
„katholisch“ – im eigentlichen Sinne: umfassend;
„orthodox“ – im eigentlichen Sinne: rechtgläubig;
„evangelisch“ – im eigentlichen Sinne: die frohe Botschaft verkündend.
Jede und jeder Einzelne ein kleines geniales Fragment,
doch alle zusammen eine Gemeinschaft in Christus.

11. Wir haben alle Zeit der Welt
Nichts kann uns wirklich hektisch machen, wenn wir Gott begegnen wollen.
Jeder Atemzug, bevor wir handeln oder sprechen, ist kostbar.
Er gibt dem Engel Gottes die Chance, bei uns anzukommen, um durch unsere Person zu den anderen zu sprechen.
Die Musik ist hinter den Notenzeichen, und die Stille ist hinter den Worten.

12. Brechen wir die Regeln nur, wenn wir sie kennen
Nähe – Distanz, Aktion – Stille, Professionalität – Offenheit … Unser Lernprozess hört niemals auf, und der Reichtum der Möglichkeiten wird sich immer erweitern.
Gesetze sind dazu da, uns zu helfen. Wenn sie nicht hilfreich sind, können wir sie beiseite lassen. Das können wir aber erst beurteilen, wenn wir sie verstanden haben.

13. Ein Ritus gibt Sicherheit … und engt ein
Ein Ritus funktioniert nur, wenn wir ihn bestätigen … und hin und wieder durchbrechen.
Heimat finden wir nur, wenn wir das eigentliche Geheimnis beachten.

14. Gottesdienst ist Vollzugsdrama – und Unterricht ist Erfahrung
Das Drama Gottes mit uns Menschen geschieht jetzt. Die verharrende religiöse Tendenz des Ritualisierens und Dogmatisierens kann das zudecken.
Unser abendländischer Gottesdienst hat zwei antagonistische Wurzeln: jüdische Tischgemeinschaft und römisches Staatsschauspiel. Andere Kulturen haben andere Traditionen.
Je besser wir diese anthropologischen Wurzeln verstehen, um so besser können wir auch damit umgehen und das Erlebnis Seiner Gegenwart für uns zulassen und wiederentdecken.